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„Solange die Pandemie wütet, brauchen wir einen Rettungsschirm für den Nahverkehr.“

05.11.2020

Die Corona-Pandemie hinterlässt auch beim Betrieb von Bussen und Bahnen tiefe Spuren. Die wirtschaftliche Existenz vieler Verkehrsunternehmen ist bedroht, wenn sie nicht entsprechend unterstützt werden. Dr. Tobias Heinemann, Sprecher der Geschäftsführung der Transdev GmbH, erläutert die aktuellen Erfordernisse in der Branche.

Herr Heinemann, warum ist eine Fortführung des Rettungsschirms für die Verkehrsunternehmen auch in 2021 lebensnotwendig?
Wie wir gerade erleben, ist die Corona-Pandemie noch lange nicht überstanden. Im Rahmen des neuerlichen Lockdowns brechen unsere Fahrgastzahlen wieder ein. Die Konsequenzen werden wir noch viele Wochen und Monate spüren, und niemand kann sagen, wie die Situation im kommenden Jahr aussehen wird. Dies hat gravierende Auswirkungen auf die betriebliche und wirtschaftliche Situation aller Verkehrsunternehmen.

Aber ging es zwischenzeitlich nicht wieder bergauf?
Ab Juni kamen die Fahrgäste sukzessive wieder zurück, auch der Start ins neue Schuljahr stimmte mich zuversichtlich. Durch das Infektionsgeschehen und die weitreichenden Entscheidungen der öffentlichen Hand bleiben die Fahrgäste nun wieder aus. Und ich habe erneut keinen Auftraggeber wahrgenommen, der die Verkehrsunternehmen auffordert, die Leistungen an die deutlich gesunkene Nachfrage anzupassen. Weil wir ja erneut aufgefordert sind, Mobilität für die sogenannten „systemrelevanten Berufe“ zu garantieren. Den Effekt, dass viele Berufstätige verstärkt aus dem Homeoffice arbeiten, werden wir langfristig spüren. Der damit verbundene Fahrgeldverlust entzieht dem Markt langfristig eine wichtige Finanzierungssäule.

Hat Ihnen der bisherige Rettungsschirm nicht geholfen?
Der Rettungsschirm für den Öffentlichen Verkehr hat geholfen und auch gezeigt, wie gut in diesem Markt alle Akteure zusammenarbeiten können. Die Umsetzung der Phasen 1 und 2 läuft, und ich appelliere an alle Beteiligten, für eine zügige Abwicklung zu sorgen. Dass aber einige Bundesländer ausscheren und ihren finanziellen Verpflichtungen nicht zu hundert Prozent nachkommen wollen, gefährdet nicht nur den gesamten Branchenkompromiss, sondern sie halten sich schlicht nicht an getroffene Absprachen. Wer die vollständige Aufrechterhaltung der Verkehrsleistung verlangt, hat auch den vollen Ausgleich dafür vorzunehmen. Geld verdienen wir in der Pandemie schon deshalb nicht, weil wir alle zusätzlich anfallenden Kosten etwa für Hygienemaßnahmen übernehmen müssen.

Worum geht es dabei?
Der Kompromiss beim Rettungsschirm legt – ganz vereinfacht gesagt – fest, dass die Bundesländer die ausgebliebenen Fahrgeldeinnahmen vollumfänglich ausgleichen und die Verkehrsunternehmen im Gegenzug die pandemiebezogenen Zusatzaufwendungen tragen. Wenn nun einzelne Bundesländer nur 70 oder 90 Prozent der Fahrgeldverluste ausgleichen, führt dies bei uns Betreibern von Bussen und Bahnen zu beträchtlichen Mindereinnahmen. Dies bedroht die wirtschaftliche Existenz vieler Verkehrsunternehmen.

Was erwarten Sie von den Aufgabenträgern?
Wer A sagt muss auch B sagen. Alle Verkehrsunternehmen haben in der Krise geliefert und ihre Verkehre trotz eingebrochener Nachfrage aufrechterhalten, um die Mobilität für die „systemrelevanten Berufe“ sicherzustellen. Insofern ist es nur fair, dass wir jetzt auch einen 100-prozentigen Ausgleich für das entgangene Fahrgeld bekommen und Perspektiven aufgezeigt werden, wie es weitergehen soll. Oder die Besteller sagen klar: Wir können dies nicht bezahlen. Dann müssen wir die Leistungen anpassen.

Wie wird die Situation im kommenden Jahr aussehen? Wir brauchen auch in 2021 Vereinbarungen analog zu 2020, denn die Pandemie ist noch lange nicht vorüber. Vor allem benötigen wir jetzt klare Aussagen von den Auftraggebern, welches Szenario in 2021 gewünscht ist. Sollen wir den überwiegenden Teil des Fahrplans aufrechterhalten, erwarten wir vollen Ausgleich. Sollen wir weniger fahren, geht dies auch. Das müssen die Besteller aber klar und deutlich sagen.

Was hat das für Konsequenzen?
Der gesamte Öffentliche Verkehr in 2021 ist strukturell unterfinanziert. Weil die Regionalisierungsmittel unterstellen, dass die zweite Finanzierungssäule, die vom Fahrgast kommt, eine gewisse Auslastung der Verkehrsmittel unterstellt, die gegenwärtig nicht gegeben ist. Wir kommen also nicht darum herum, eine Verstetigung der Aufstockung der Regionalisierungsmittel vorzunehmen. Die 2,5 Milliarden Euro in 2020 müssen also verstetigt werden, verbunden mit dem klaren Bekenntnis aller Bundesländer, dass die Landes-Rettungsschirme ebenfalls fortgeführt werden und 100 Prozent des Fahrgeldverlusts ausgeglichen werden. Wenn hier keine zeitnahe Lösung kommt, dann drohen flächendeckend Angebotseinschränkungen bis hin zu Abbestellungen und Stilllegungen. Die Erwartungen aus der Politik, dass der Öffentliche Verkehr einen massiven Beitrag zum Klimawandel leisten soll, wären dann nicht mehr erfüllbar.